Attat Hospital in Äthiopien
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Attat im Advent 2008

Ich komme gerade von der Samstagsmorgenvisite im Krankenhaus. Das kräfitge Rot der Weihnachtssternbäume leuchtet gegen einen strahlendblauen Himmel. Im Krankenhausinnenhof schieben sich unsere beiden Riesenschildkröten bedächtig zwischen den Angehörigen der Patienten durchs Gras. Wenn unsere Putzmänner in den Stationen in Aktion sind, werden die Angehörigen herausgebeten. Auch für den Visitenablauf ist es einfacher, und vor allem leiser, wenn die Verwandten draußen warten. Auf der Kinderstation bleiben die Mütter bei den Kindern, und wenn wir Patienten haben, deren Dialekt niemand versteht, bitten wir die Begleitperson herein.

Während der Visite werde ich zum Kreissaal gerufen wegen einer Frau mit Zwillingen. Die ganze Nacht war im Kreissaal Hochbetrieb, und ich hatte gehofft, dass die Zwillingsmutter schon entbunden hat. Ziemlich am Ende ihrer Nerven bekniet sie mich doch einen Kaiserschnitt zu machen. Wir einigen uns, es erst mit einem Wehentropf zu versuchen. Ich erinnere sie daran, dass sie ja schon ein Kind normal geboren hat, und das jetzt auch schaffen wird.

Zurück bei der Visite stelle ich fest, dass heute die meisten Patienten gute Laune haben. Sogar das 15-jährige Mädchen, das wegen Verwachsungen operiert wurde, lächelt uns an. An den Tagen zuvor hatte sie sich bitterlich über all die Schmerzen nach der Operation beklagt. Morgen darf sie nach Hause. Als Resultat des momentan großen Andrangs an Geburten der letzten Tage liegen in zehn von unseren neunzehn chirurgischen Betten Mütter nach Kaiserschnitt. Alle sind wohlauf, aber irgendwie haben sich die Neugeborenen verbündet und ein Schreikonzert angefangen. Die Stationsleitung gibt lautstark den Befehl, dass alle Mütter augenblicklich ihre Kinder zu stillen haben. Mit weniger Geräuschkulisse setzen wir unsere Visite fort.

Auf dem Gang vor unseren drei Krankensälen hört man das Klappern der Metalltragen, auf denen Notfallpatienten gebracht werden. Eine kurze Beurteilung zeigt, dass keiner der Patienten in einem lebensbedrohlichen Zustand ist, so dass wir erst die Visite weitermachen können. Wir brauchen freie Betten und müssen Platz für die Patienten in den Notbetten auf den Fluren finden.

An diesem Morgen können wir 13 unserer 70 Patienten entlassen. Kumil, einer unserer Angestellten, der die Entlassungen abwickelt, berichtet, dass nach allen Versuchen und Verhandlungen um Bezahlung, drei der entlassenen Patienten kein Fahrgeld für die Rückfahrt nach Hause haben. Fünf können nach der Anzahlung bei Aufnahme, den Restbetrag ihrer Krankenhausrechnung nicht bezahlen. Die Abmachung mit Kumil lautet: den Leuten von weit her, Fahrgeld zu geben und den Rest der Rechnung nachzulassen. Die Kinder und Schwangeren fallen sowieso unter unsere durch Spenden bezuschussten Programme. Die Leute aus der Umgebung sollen versuchen von zu Hause noch etwas Geld zu organisieren, bevor wir ihnen den Restbetrag erlassen.  

Als ich auf den Korridor herausgehe, werden gerade noch fünf weitere Patienten per Rollstuhl von ihren Begleitern hereingeschoben. Es muss also gerade ein Landrover angekommen sein, der die Patienten unterwegs aufgesammelt hat. Zwei biegen direkt Richtung Kreissaal ab, die anderen reihen sich ein. Zwei der Patientinnen scheinen Malaria zu haben. Wir werden das mit einem Schnelltest überprüfen, eine davon erbricht und muss aufgenommen werden, die andere kann sicher mit Tabletten nach Hause gehen. Ein kleiner Junge wurde von einem Esel in den Oberschenkel gebissen, und ein älterer Mann hat Zahnweh (zum Glück kann der diensthabende OP-Pfleger Zähne ziehen). Eine junge Frau wird wegen drohender Fehlgeburt aufgenommen. Ein junger Mann liegt mit dickem Bauch (vermutlich voll Wasser) völlig entkräftet auf einer Trage. Wir werden einen AIDS-Test machen aber vermutlich hat der Mann einen Leberschaden oder Tuberkulose.

Aus der inneren Abteilung erklingt plötzlich lautes Klagegeschrei. Ein 70-jähriger Mann wurde in der Nacht ohne messbaren Blutdruck mit Fieber und ausgetrocknet aufgenommen. Alle Infusionen und Antibiotika waren zu spät. Auf dem Korridor ziehen die weinenden Angehörigen mit dem in ein weißes Tuch gewickelten Toten vorbei.

Aus dem Kreissaal hört man ebenfalls Schreie, allerdings ganz anderer Art. Begeistert denke ich, dass also mindestens eine der Frauen gerade entbindet, und schon ist Babygeschrei zu hören. Am Mittag hat auch die Zwillingsmutter ihre beiden Kinder im Arm. Der Lauf des Lebens - die einen gehen, die anderen beginnen ihren Weg.

Dies als kleiner Einblick in den kurativen Teil unseres Projekts. Für ein komplettes Bild müsste über das erfolgreiche Dorfentwicklungsprogramm, die aktiven Frauengruppen, das umfassende Impf- und Vorsorgeprogramm, unser großes Brunnenprojekt mit 132 Brunnen und neun neuen Brunnen, die durch Spenden in diesem Jahr gebohrt werden konnten, über die Betreuung unserer AIDS-Patienten (1.433), das extensive HIV-Screening und Aufklärungsprogramm mit 7.213 durchgeführten HIV-Tests im Jahr berichtet werden.

Ein Lichtblick sind unsere Programme für behinderte Kinder und die Ausbildungshilfe. Regelmäßig kommt ein Spezialteam aus Addis Abeba und versorgt die Poliokinder mit neuen Schienen und Schuhen. Einige dieser Poliokinder konnten in unser Ausbildungsprogramm aufgenommen werden und machen nun eine Ausbildung. Dank großzügiger Spenden werden zur Zeit über 50 Jugendliche gefördert. Sie kommen aus armen Familien oder sind Kinder unserer langjährigen Angestellten, die im schulischen Bereich gute Ergebnisse erzielt haben.

Verlässt man das Krankenhausgelände von Attat und fährt mit dem Auto über die neu asphaltierte Straße Richtung Addis Abeba sieht man, wie die Dörfer und kleinen Städte expandieren. Es scheint, dass Äthiopien einen Bauboom durchlebt, überall entstehen Häuser, manche sind sogar mehrstöckige Mietshäuser. Auf halbem Weg liegt das St. Lukas Krankenhaus in Wolisso. Dort arbeiten unsere amerikanische Sr. Elaine Kohls als Verwaltungsleiterin und die indische Sr. Pia als Chirurgin. Im Dezember wird Sr. Pia im Alter von 72 Jahren nach 29 Jahren Wirken in Äthiopien in ihre indische Heimat zurückkehren...

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